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Transvulcania La Palma

Athletin Stephanie Lieb läuft den Transvulcania by UTMB 2023

La Palma

Auf der spanischen Insel La Palma zu laufen, habe ich mir schon länger sehr gewünscht. Mein verstorbener Hund Leo, der mich viel beim Laufen begleitet hatte, auch über Ultradistanzen, stammte von dort. Zum meinem 50. Geburtstag bekam ich dann den Startplatz und die Flüge geschenkt! Meine Vorfreude war riesengroß!… Immer gemischt mit ein bisschen Wehmut beim Gedanken an Leo und mit großem Respekt vor diesem Lauf, von dem ich schon so viel gehört hatte.

Die reinen Zahlen 72,5 Kilometer / 4.600 Höhenmeter aufwärts / 4.200 Höhenmeter abwärts klangen für mich erst mal nicht wirklich schlimm. Allerdings ist diese Vulkaninsel so facettenreich und stellt durch die Wegbeschaffenheit und das Klima ganz besondere Ansprüche. Respekt war also durchaus angebracht. Ich durfte unterwegs auch tatsächlich so ziemlich alles erleben, was La Palma landschaftlich und klimatisch zu bieten hat.

Der Start

Um 4:30 Uhr am Morgen stiegen wir in Los Canarios in den Shuttlebus, der uns hinunter zum Leuchtturm von Fuencaliente bringen sollte, an die Südspitze von La Palma auf Meereshöhe. Start war dort um 6 Uhr. Ein unglaublich beeindruckender Moment: Diese Anspannung vor dem Startschuss, Hunderte von Stirnlampenlichtern im Dunkeln, internationales Sprachgewirr, Klatschen, AC/DCs Thunderstruck aus den Lautsprechern, „tres… dos… uno“ und los ging er, der wilde Ritt über den Vulkan! Bergauf. Klar. Nach einer Runde um den Leuchtturm und ein paar Kurven auf der Straße durften wir endlich ins Gelände abzweigen mit vulkanischem Sand, tief und anstrengend zu laufen. Nach ca. 3 Kilometern direkt ein kleiner Weckruf an mich selbst: Stolperer und mit beiden Armen zu den Füßen in den Sand. Ab jetzt war ich wach. Und paniert. Schwarz. Guten Morgen!

Während ich mich in der endlosen Glühwürmchenschlange nach oben kämpfte, kam mir unweigerlich ein Ratschlag in den Sinn, den ich im Vorfeld öfter gehört hatte: „Heb dir Körner für den langen Downhill auf!“ Ehrlich: WIE in aller Welt sollte ich mir HIER Körner sparen?!? Irgendwie musste ich ja vorwärtskommen! Trotzdem war die erste Verpflegung in Los Canarios schneller erreicht als erwartet. Die Stimmung in diesem kleinen Örtchen war großartig! Ein Gefühl als wäre der ganze Ort schon auf den Beinen, Anfeuerungsrufe, Musik… Man hätte meinen können, man ist bereits im Ziel. Allerdings waren gerade mal 7 km geschafft. Da lag noch einiges vor mir. Also nur schnell die Flasks auffüllen und weiter, bergauf natürlich, steil. Ab hier durften nun auch Stöcke benutzt werden, was vom Start weg aus Gründen des Naturschutzes verboten war. Den Rat mit den Körnern im Hinterkopf war ich in diesem Moment dankbar für die Möglichkeit, so auf dem kommenden Abschnitt vielleicht doch ein paar Kräfte sparen zu können.

Es ging nun kurz durch waldiges Gebiet und erst dachte ich, das mit dem Sand war vorbei, wurde aber bald eines Besseren belehrt, auch was meine Erwartungen bezüglich der Temperatur betraf. Hatte ich doch gedacht, dass mit der Helligkeit auch die Hitze kommen würde. Das Gegenteil war der Fall: Es wurde kälter und windiger. Aber was für eine Landschaft! Schwarzer Lavasand und leuchtend grüne Vegetation sind eine der vielen Seiten dieser abwechslungsreichen Insel, die nicht umsonst „La Isla Bonita“, die schöne Insel, genannt wird. Das Wetter war zu diesem Zeitpunkt allerdings alles andere als schön. Es wurde immer kälter, dazu nass, erst durch den Nebel, dann kamen auch Regentropfen dazu. Zwischenzeitlich verzog sich der Nebel immer mal wieder und gab den Blick nach rechts und links frei, wo das Meer zum Greifen nahe schien. Viel Zeit zum Genießen blieb aber nicht, so schnell zog es wieder zu, und ich konzentrierte mich weiter auf den Kampf gegen Höhenmeter, Regen und inzwischen orkanartige Windböen. Es war eisig kalt geworden, und die meisten Läufer um mich herum holten ihre Jacken und Handschuhe raus. Ich war ebenfalls kurz davor wenigstens Handschuhe anzuziehen, obwohl ich, was Kälte betrifft, wirklich nicht empfindlich bin. Stattdessen entschied ich mich aber dafür die Temperatur zu ignorieren und einfach bis zur nächsten Verpflegung weiter zu laufen.

Dort in Las Deseadas angekommen, hat man nach knapp 17 Kilometer schon beinahe 2.000 Höhenmeter geschafft. Länger als notwendig aufhalten wollte ich mich aber nicht, d.h. nur schnell Wasser nachgefüllt und wieder los. Es war einfach zu ungemütlich.

Ab jetzt wurde das Gelände kupierter mit deutlicher Bergab-Tendenz und einigen sehr gut laufbaren Passagen durch Pinienwälder bis zum nächsten Checkpoint El Pilar bei Kilometer 24,5. Endlich hatte ich das Gefühl vorwärts zu kommen und lief mich in einen richtigen Flow! Der Ratschlag mit den zu sparenden Körnern war vergessen. Was soll’s? Wenn’s läuft, dann läuft’s eben. So war ich auch ca. eine dreiviertel Stunde früher als gedacht in El Pilar, wo viele Zuschauer, Angehörige und Freunde von Teilnehmenden warteten und sich mit Anfeuerungen warm hielten statt irgendwo am Strand in der Sonne zu liegen oder an der Bar zu sitzen. Respekt! Da hier Unterstützung durch Dritte erlaubt war, hatte auch ich meine persönliche Betreuung vor Ort. Wer solche Geburtstagsgeschenke macht, soll schließlich auch was davon haben! Zwar etwas überrascht, dass ich schon da war, aber zum Glück dennoch gut vorbereitet. Ich nahm mir Zeit, frische Verpflegung im Rucksack zu verstauen, ordentlich zu trinken und alle Flaschen wieder aufzufüllen, irgendwann würde es schon noch warm werden, so die Hoffnung… oder doch eher Befürchtung?

Die folgenden Kilometer kam ich gut voran, konnte viel laufen, die Temperaturen wurden angenehmer und das Gefühl mich irgendwo durch Regenwald oder Dschungel zu bewegen intensiver, ein unglaubliches Grün! Der nächste Verpflegungspunkt war so auch schnell erreicht und genauso schnell war ich wieder weg. Langsam aber sicher nahmen dann die Steigungen wieder zu, die Vegetation wurde weniger, Fels und Stein mehr, der Weg technischer, die Wärme kam, nur der Wind, der blieb. Einerseits machte er die zunehmend stechende Sonne erträglicher, andererseits liefen wir die ganze Zeit ungeschützt über die Bergrücken und einige Male hatte ich das Gefühl dort oben runtergeweht zu werden. Zeitweise kam ich nur geduckt und mit einer Hand am Kopf, Kappe und Sonnenbrille festhaltend, vorwärts. Gut, dass man hier über längere Passagen die Stöcke wieder nicht benutzen durfte, so hatte ich die Hände wenigstens frei und die Stöcke konnten nicht auch noch wegfliegen. 

Bis zum höchsten Punkt der Strecke, dem Roque de los Muchachos, auf über 2.400 Metern gelegen, zog es sich nun gefühlt endlos hin. Die Aussicht war zwar grandios und atemberaubend (Oder lag das doch an der Höhe?!?), aber wahrscheinlich sehnte ich mich einfach danach, endlich dort oben zu stehen und mich in diesen legendären „Downhill des Todes“ stürzen zu dürfen… Die Körner waren mir inzwischen wieder eingefallen! 4 Kilometer vor dem Roque de los Muchachos gab es noch eine Verpflegungsstelle am Pico de la Cruz, die von den meisten Läufern sehr herbeigesehnt wurde, da die Durststrecke bis dahin ganz schön lang war. Ich hätte um ein Haar den ganzen Stand abgeräumt, weil die Tische direkt an der Straße standen, auf die wir aus dem Trail herausliefen und ich, nicht damit rechnend, direkt in der Verpflegung zu landen, viel zu viel Schwung hatte. Kurzer Schreckmoment, aber gerade noch die Kurve gekriegt und freundlicherweise auch noch Wasser eingeschenkt bekommen. Vielleicht wollten die mich nach der Aktion dort aber auch einfach nur sehr schnell wieder loshaben.

Auf den verbleibenden Kilometern vor dem nächsten Checkpoint am Roque de los Muchachos fing ich dann an nachzudenken. Komisch, ich hatte auf den bisherigen über 50 km und 4.200 positiven Höhenmetern keinen echten Tiefpunkt. Bis zu diesem beeindruckenden Ort mit seinen wie zufällig in der Landschaft platzierten Observatorien, von dem viele behaupten, das Rennen würde hier erst richtig beginnen, war ich schneller unterwegs als erwartet. Und mir ging es gut. Wie sollte ich das nun deuten? Hieß das, ich habe genug Körner gespart, oder hieß das, im Downhill kommt dann doch noch ein Tiefpunkt? Nein. Nicht im Downhill. Niemals! Kurz geschüttelt. Gedankenkarussell aus. Einfach laufen und schauen was kommt. Nur kam da erst mal nichts. Also nichts, was in meinen Augen mit einem legendären Downhill zu tun gehabt hätte. Aber Tausende von Läufern, die den Transvulcania schon gelaufen sind, können nicht irren. Es kam. Es wurde steil, technisch und unangenehm zu laufen, zwischendurch auch mal richtig steil auf Asphalt durch Bananenplantagen (für mich der unschönste Teil des gesamten Laufs), aber zum Glück nicht sehr lange. Dann irgendwann nach einem unerwartet ebenem Laufstück wurde es wieder technisch anspruchsvoll, bevor es auf den letzten Abschnitt über einen engen Zick-Zack-Pfad auf verblockten Pflastersteinen hinunter nach Puerto de Tazacorte ging. Langsam dachte ich zwar, dass das ganze Bergab nun schon reichen würde, aber im Vergleich zu einigen Läufern, die ich überholen konnte, war ich gefühlt doch noch recht leichtfüßig unterwegs. Gemein vielleicht, aber irgendwie macht das einen noch leichter. Die Sonne brannte hier richtig heiß und Wind war kaum mehr zu spüren. Den vorletzten Verpflegungspunkt am Torre del Time bei Kilometer 60 ließ ich trotzdem mehr oder weniger links liegen und flog gefühlt hinunter in Richtung Meer, das einladend und blau unter mir lag. Ich hörte von unten schon die Musik, den Sprecher und sah den Bogen, durch den alle zum Verpflegungszelt im Hafen von Tazacorte laufen durften. Jetzt war ich sicher, dass es an diesem Tag einfach keinen Einbruch brauchte. Erst mal da unten angekommen würde ich den letzten Hügel auch noch ohne Tiefpunkt schaffen!

An dieser letzten Verpflegung herrschte tatsächlich auch schon echte Zielstimmung mit vielen Zuschauern, lauter Musik und tanzenden Helfern. Ich hatte hier wieder den Luxus der persönlichen Betreuung, tauschte aber nur kurz eine leere Trinkflasche gegen eine volle, nahm noch sicherheitshalber zwei Gels mit und konnte es eigentlich nicht mehr erwarten, den letzten Abschnitt in Angriff zu nehmen. Zwei Tage vorher sind wir das Stück, das nun folgte, abgelaufen. Erst ging es durch ein ausgetrocknetes Flussbett, dem „Tal der Ängste“, und dann den steilen Anstieg hinauf nach Los Llanos. Ich wusste also was kommt. Ich wusste, es würde durch das Flussbett schwierig zu laufen werden und im Anschluss über 400 Höhenmeter nach oben ansteigen, bevor die letzten ca. 1,5 Kilometer über Asphalt ins Ziel führten.

Die extra nach dem Checkpoint in Puerto de Tazacorte für uns Läufer aufgebaute Regendusche nahm ich dankend an und fand mich auch schon patschnass im ausgetrockneten Flussbett wieder. In der Gewissheit, es fast geschafft zu haben, noch dazu einiges schneller als gedacht, wollte ich diese letzten 6 oder 7 Kilometer nur noch genießen. Und genau das habe ich getan! Unterwegs gab es am Anstieg noch mal eine kurze Abkühlung aus dem Gartenschlauch einer sehr netten, älteren Dame und auf der Zielgeraden ein Stück Melone von anfeuernden Jugendlichen am Streckenrand. Überhaupt war dieses letzte Stück ganz besonders. Die vielen Rufe, der Jubel der Zuschauer, das Gefühl meinen Leo im Herzen ohne einen einzigen Tiefpunkt über diese ganz besondere Insel getragen und dabei in knapp elfeinhalb Stunden all ihre Facetten gesehen und erlebt zu haben, machen diese Ziellinie für mich unvergesslich und einzigartig.

Danke Transvulcania by UTMB! Danke La Palma! Und extra Danke für dieses beste aller Geburtstagsgeschenke überhaupt!

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